Inhaltsverzeichnis
Die Lang-Fassung
“Reisefoto des Monats” von einem der heiligsten Orte Indiens
Das Foto, das Sie hier sehen, ist während meiner letzten Indien-Reise (im Februar 2020) in Prayagraj entstanden, der Stadt in Uttar Pradesh, die über Jahrhunderte den Namen Allahabad trug, und erst vor relativ kurzer Zeit in Prayagraj umbenannt wurde. Allahabad war abgeleitet von Ilahabad, was übersetzt „Platz Gottes bedeutet“. Der Name stammte jedoch von den muslimischen Mogul-Herrschern, und das war der amtierenden Hindu-Partei BJP und Präsident Modi wohl ein Dorn im Auge. Dazu muss man erwähnen, dass in Prayagraj für viele Hindus eine der heiligsten Stellen im ganzen Land liegt: der Sangam. Eine Landzunge, wo sich drei heilige Flüsse zu einem vereinen. Es sind der Ganges, der Yamuna und der unterirdische Sagenfluss Saraswati. Dort ist es auch, wo in der Vergangenheit die bisher größten „Kumbh Mela“ Feste, mit vielen Millionen Pilgern, stattgefunden haben. Ich selbst war mehrfach dabei.
Diesmal war ich jedoch nicht wegen einer Kumbh Mela gekommen, sondern, es ging um ein anderes wichtiges Hindu-Fest. Das „Maha Shivratri“ zu Ehren des Gottes Shiva, dessen Name auch „der Gütige“ oder „der Segen“ bedeutet. Shiva ist aber nicht nur ein Gott für die Menschen, sondern wird selbst von Dämonen verehrt! Ich war bei einer meiner Recherchen auf dieses Fest gestoßen und speziell darauf, wie es in Allahabad gefeiert wird. Und ich wollte es unbedingt erleben und fotografieren …
Worum geht es beim „Maha Shivratri“?
„Maha Shivratri“ kann man in etwa mit „die lange Nacht des Shiva“ übersetzen. Viele Gläubige durchwachen diese heilige Nacht, beten und singen gemeinsam, so wie es der Göttliche in den Schriften selbst verlangt:
In der vierzehnten Nacht der dunklen Hälfte des Monats werde ich im Kali-Yuga (das gegenwärtige Zeitalter) über die Erde gehen. Ganz sicher werde ich in allen Lingas sein, in den beweglichen sowie den unbeweglichen, um die Sünden hinwegzunehmen, welche die Menschen im vergangenen Jahr begangen haben; darum wird derjenige, der mich in dieser Nacht mit Mantren verehrt, von Sünden frei sein“.
Nagar Khanda
Am Ende dieser „großen Nacht“ gelangt Shiva zu seiner Frau Parvati. Dies wird u.a. mit einer großen Prozession gefeiert, bei der Shiva begleitet von anderen Göttern, auf großen Wagen durch die Stadt zieht. Hinter Shivas Prozession kommen die tanzenden Dämonen. Es ist in Prayagraj ein großes Spektakel, das dennoch selbst innerhalb von Indien relativ wenig bekannt ist. Als ich dort ankam, war unser Guide zunächst unsicher, ob es sich fotografisch überhaupt lohnen würde. Er ist ein wirklich erfahrener Fotoguide, mit dem ich schon oft zusammen gearbeitet habe und den ich inzwischen als Freund betrachte. Aber er hatte noch nichts davon gehört, dass das Festival in Prayagraj irgendwie „besonders“ sein sollte. Tatsächlich schlug er sogar vor, lieber nach Varanasi zu fahren, weil dort „Maha Shivratri“ definitiv mit einer Parade von Sadhus gefeiert würde. Ich war mir jedoch aufgrund meiner Recherche relativ sicher, dass auch „etwas“ in Prayagraj passieren würde. Zwar verunsicherte mich, dass mein Guide so gar nichts von dem speziellen Charakter des Festes in Prayagraj wusste, aber ich vertraute auf meine Recherche und folgte meinem Instinkt. Ich entschied mich in Praygraj zu bleiben. Nach etwas weiterer Recherche vor Ort bekamen wir schließlich einen Tipp, wo wir hingehen sollten: Ein Tempel in der Altstadt, wo sich die „Götter & Dämonen“ auf ihre lange Nacht vorbereiten. Und richtig: der Tipp war Gold wert!
Im Vorhof zum Tempel fanden wir einE größere Gruppe von Menschen, von denen einige dabei waren, sich in „Dämonen“ und andere in „Götter“ zu verwandeln. Nach kurzer Zeit begann hier das Spektakel, bei dem die Dämonen anfingen, sich in eine Art Trance zu versetzen (unter Zuhilfenahme von Alkohol und Drogen) und wild herum zu tanzen. Dabei schlugen sie auf menschliche Knochen und Schädel ein. Es war eine bizarre und „bildgewaltige“ Szene. Aber tolle Motive geben noch nicht automatisch tolle Fotos. Es war alles andere als einfach, hier ein gutes Bild zu machen!
Nach einiger Zeit machten sich die Protagonisten schließlich daran, ihre große Prozession durch Prayagraj zu beginnen …
Was macht die Aufnahme fotografisch interessant?
Diese Foto lebt natürlich in aller erster Linie vom Motiv. Ohne den oben geschilderten Hintergrund könnte man bei der Aufnahme wohl wild spekulieren, wo sie gemacht wurde und was wir da eigentlich sehen …
Wie oben bereits erwähnt, ist es durchaus anspruchsvoll, im Gewimmel einer solchen Veranstaltung ein gescheites Foto zu machen, denn durch die kurze Verschlusszeit von 1/250 Sekunde ist das Geschehen im Bild zwar eingefroren, stellen Sie sich aber bitte vor, dass die „Dämonen“ wild herum tanzen und dabei natürlich ständig in Bewegung sind. Hier eine Komposition hin zu bekommen, die „funktioniert“, ist daher nicht ganz leicht …
Ich wollte den Kontext zwar zeigen, aber eine einzelne Person als Hauptmotiv davor frei stellen, damit man sich als Betrachter schnell im Bild zurecht findet. Um überhaupt eine Chance zur Freistellung zu haben, muss man mit (sehr) geringer Tiefenschärfe fotografieren, sodass sich der Kontext / Hintergrund (deutlich) durch Unschärfe von der (scharfen) Hautperson abhebt. Das bedeutet aber, dass der Fokus wirklich sitzen muss, da die geringe Tiefenschärfe „nichts vergibt“. Ist das Gesicht nicht scharf, „funktioniert“ die Aufnahme nicht. Aber, wenn die Protagonisten sehr dicht beieinander stehen (tanzen), reicht unter Umständen selbst Blende f/2,8 nicht einmal aus, um das Motiv genügend frei zu stellen. Daher versuchte ich auch noch einen Blickwinkel von unten zu wählen, sodass der Hintergrund (in diesem Fall die Häuser) weit genug vom Hauptmotiv entfernt sind. Entscheidend war dabei, sich selbst viel zu bewegen, um einen Moment zu finden, in dem die Elemente zusammen eine ansprechende Komposition ergeben! Die Herausforderung bei dieser Vorgehensweise ist, dass man sich im Getümmel bewegt, und parallel die Motive im Blick behalten will. D.h., man bewegt sich teils zur Seite und/oder rückwärts, – ohne hinzugucken …
Tatsächlich hatte ich sogar zwei Kamera-Bodies im Einsatz. Meine zweite Kamera war eine Nikon D850 mit einem 35mm f/1.4 Objektiv, wo ich ebenfalls mit sehr offener Blende fotografiert habe. Bei der Sichtung meiner Bilder gefiel mir diese Aufnahme mit der Nikon Z6 und Blende f/2.8 letztlich von allen am besten. Im Nachhinein hätte ich gerne noch eine zweite Aufnahme – vielleicht direkt im Anschluss an die erste – gemacht, bei der ich den Fokus auf den Totenschädel gelegt hätte, den der junge „Dämon“ in seiner Hand hält. Das hätte ebenfalls interessant sein können … Aber, die Situation war anspruchsvoll, daher „verzeihe ich mir selbst“, dass es nicht dazu kam. 😉 Und immerhin sind noch ein paar andere gute Bilder entstanden …
Behind The Scenes
Wenn Sie mögen, können Sie hier mal einen kurzen Blick hinter die Kulissen werfen, wie ich beim Maha Shivratri die „Dämonen“ fotografiere und filme. Das Video hat mein Guide ,it seinem Handy aufgenommen.
Wenn Sie mehr Interesse an Indien haben, ist mein Multivisionsvortrag „Magisches Indien“ sicher interessant für Sie. Hier gibt es die aktuellen Termine …
Foto-Reportage Maha Shivratri
Wenn Sie Lust haben, mehr Bilder von diesem ungewöhnlichen Fest zu sehen, schauen Sie doch einmal in meine neue Foto-Reportage Maha Shivratri hinein …
Der „Bildersteckbrief“ (Die Kurzform für Eilige)
Wann und wo entstanden?
- 21. Februar 2020
- Prayagraj (ehemals Allahabad), Indien
Warum ausgesucht?
- Interessante Erkenntnisse zum Thema Recherche und am Ball bleiben
- Interessantes Motiv
- Anspruchsvolle Aufnahme-Situation
Die Technischen Details des Fotos
- Kamera: Nikon Z6
- Objektiv: Nikon Z 24-70mm f/2.8 S
- Brennweite: 43mm
- Blende: f/2,8
- Verschlusszeit: 1/250 Sek.
- ISO: 100
- Modus: Zeitautomatik
- Belichtungskorrektur: 1/3 Blendenstufen