Reisefoto des Monats: „Kids in Iran“

Die Lang-Fassung

Mein “Reisefoto des Monats” kommt diesmal aus der Strasse von Hormus

Die Corona-Krise bedeutet für viele von uns tatsächlich eine Krise – sowohl existenziell, als auch mental. Wie ich beim Mai-Bild schon geschrieben habe, sind wir „verdammt“ gewesen, uns zuhause zu beschäftigen – und nicht die Zuversicht zu verlieren, während immer mehr Termine abgesagt werden. Das Bild von den vier Jungs hat für mich beide Aspekte zum Hintergrund. Zum einen habe ich die Zeit in den letzten Wochen genutzt, um intensiv an meinen Iran-Projekten (neue Multivision und Buchveröffentlichung) zu arbeiten und bin dabei auch auf dieses Bild gestoßen. Zum anderen erinnere ich mich derzeit gerne an die Begegnung mit den vier Jungs in einem Fischerei-Hafen auf der Insel Qeshm in der Trasse von Hormus. Unserer lokaler Führer hatte uns den Hafen als ein „möglicherweise fotografisch interessantes Ziel“ vorgeschlagen. Das war auch tatsächlich so, allerdings hatten wir zum Sonnenaufgang zunächst an einer anderen Stelle die (fantastische) Landschaft fotografiert, sodass wir erst gegen Mittag dorthin kamen. Und wie die Fotografen unter Ihnen wissen werden, ist das Licht dann leider „katastrophal“! Trotzdem bin ich froh, dort gewesen zu sein. Wie so oft, wenn Menschen unter harten Bedingungen arbeiten und leben, sind wir auch hier von den Fischern und Hafenarbeitern freundlich aufgenommen worden. Wir waren erst kurze Zeit im Hafen, da war uns bereits klar, dass diese Arbeit / dieses Leben den Menschen dort eine Menge abverlangt. Die Sonne war so gnadenlos, dass viele der Männer ihre Gesichter und Köpfe mit einer Art „Ski-Masken“ geschützt hatten. Das wirkte im ersten Moment absurd, weil es darunter ja noch heißer sein musste. (Außerdem sahen sie so fast aus, wie Bankräuber.) Aber, wenn man den intensiven Sonnenstrahlen fast permanent ausgesetzt ist, handelt es sich vermutlich um eine sehr effektive Schutzmaßnahme. Und der Schweiß troff uns allen ohnehin aus sämtlichen Poren. Die Jungs im Bild waren im Hafen, um ihren Vätern bei der Arbeit zu helfen, die Langeweile zu vertreiben und/oder sich ein Bisschen Taschengeld zu verdienen. Zunächst waren sie uns gegenüber erstaunlich schüchtern, aber da wir einige Zeit dort verbrachten, und Mehran sich mit ihnen in Farsi unterhalten konnte, wurden sie schließlich „mutiger“, und wir konnten ein paar Fotos machen.

Wie bin ich vorgegangen?

Wie ich schon sagte, war das Licht (eigentlich) eine „Katastrophe“, d.h., im grellen Sonnenlicht waren die Farben ausgewaschen und die Kontraste waren sehr hart. Eine gute Option ist in solchen Situationen, komplett im Schatten zu fotografieren. Den gab es jedoch so gut wie nicht. Für kurze Zeit waren die Jungs dann aber bereit, einer Idee von mir zu folgen. Ich wollte, dass sie sich so gruppieren, dass ihre Körper und Gesichter der Sonne abgewandt, also im Schatten waren und sie sich wie ein Team vor einem Spiel gegenseitig die Arme um die Schultern legen. Ich wählte eine “Frosch-Perspektive”, bei der der Hintergrund im Grunde keine Rolle mehr spielt, und mir war bereits bei der Aufnahme klar, dass die Lichter im Himmel komplett ausreißen, also nur noch Weiss zeigen würden. Bei der Komposition war das jedoch nicht nur zu vernachlässigen, sondern hatte sogar „viel Charme“, wie ich im Nachhinein feststellte. Fotografiert habe ich mit meiner Nikon D850 und konnte hier über das Klappdisplay den flachen Winkel nutzen, ohne mich Tatsächlich auf den heißen Boden legen zu müssen. Jetzt musste ich also nur noch darauf achten, dass die Jungs selbst auch richtig belichtet sind. Das hätte man z.B. über die Spot-Messung machen können. Ich entschied mich jedoch dafür, bei der Matrix-Messung zu bleiben, die ich die ganze Zeit genutzt hatte, und mir nach einer ersten Probeaufnahme das Histogram anzusehen. Eine 2/3 Belichtungskorrektur passte. Von den Aufnahmen, die wir vorher gemacht hatten, hatte ich noch Blende 8 eingestellt, was mir zunächst als Gute Wahl erschien, weil dadurch potentiell alle Jungs scharf genug abgebildet würden, egal, wie nah oder ferne sie bei dieser Ausstellung vom Objektiv entfernt wären. Allerdings führte Blende 8 durch die Belichtungskorrektur zu einer 1/40 Sekunde. Das ist ambitioniert, wenn man bedenkt, dass ich die Kamera nicht besonders stabil halten konnte und die Jungs natürlich nicht besonders still standen, sondern immer wieder in Bewegung waren. Es wäre besser gewesen, die Blende weiter zu öffnen, um auf eine kürzere Verschlusszeit zu kommen, z.B. auf Blende 5.6, die vermutlich von der Tiefenschärfe immer nich gereicht hätte. Aber ich spürte, dass sie nicht viel Geduld hatten und legte lieber los. Tatsächlich klappte der Moment mit meiner Kompositions-Idee auch nur ca. eine halbe Minute, bevor sich ihre „Formation“ wieder auflöste. Ich schoss rund zehn Aufnahmen in schneller Bildfolge, und letztlich war dieses Bild dabei, das in Sachen Komposition meinen Vorstellungen entsprach und scharf genug war. Den Jungs selbst gefiel es übrigens ebenfalls! 😀

Was macht die Aufnahme fotografisch interessant?

Für mich transportiert die Aufnahme etwas, das viele von uns (mich eingeschlossen) derzeit wohl gut gebrauchen können: Ich glaube, diese Jungs sind nicht „mit einem einem goldenen Löffel im Mund“ geboren worden, bewahren sich aber auch in diesen Umständen ihre Lebensfreude und Zuversicht.

Das Bild lebt natürlich in erster Linie vom Ausdruck der Jungs und von der Frosch-Perspektive. Solche Bilder habe ich im Lauf der Jahre schon öfter gemacht. Was mich aber an dieser speziellen Aufnahme regelrecht „begeistert“ ist die Belichtung im Zusammenspiel mit dem Hintergrund. Wie bereits oben beschrieben, war es mitten am Tag bei gleißendem Sonnenlicht. Eigentlich waren die Farben alle ausgewaschen und die Kontraste sehr hart. Die Jungs so hinzustellen, dass ihre der Kamera zugewandte Seite im Schatten ist, hat nicht nur sehr gut funktioniert, sondern erstaunlich gute Farb- und Kontrastergebnisse geliefert. Und die ausgerissenen Lichter im Hintergrund lassen die Aufnahme fast wie ein Studio-Setting wirken! Früher hätte vermutlich gesagt, bei dem harten Mittagslicht brauchen wir gar nicht raus gehen. Doch durch diese Aufnahme fühle ich mich eines Besseren belehrt, und jetzt bin ich neugierig darauf geworden, mehr bei hartem Licht zu experimentieren …

Der „Bildersteckbrief“ (Die Kurzform für Eilige)

Wann und wo entstanden?

  • 21. Oktober 2019
  • Insel Qeshm in der Strasse von Hormus, Iran

Warum ausgesucht?

  • Interessante Erkenntnisse zum Thema „hartes Mittagslicht“
  • Ausdruck
  • Aktualität

Die Technischen Details des Fotos

One Reply to “Reisefoto des Monats: „Kids in Iran“”

  1. Hallo Thorge,
    ich kann sehr gut nachvollziehen was Dir dieses Bild bedeutet.

    Man weiß ja, dass ein Bild mehr aussagt als tausend Worte, dennoch bin ich davon überzeugt, dass die Story hinter einem Bild noch viel mehr bedeutet.

    Schönen Dank für das Teilen Deiner Impression zu diesem Bild.
    Mit freundlichem Gruß, Andreas

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