Reisefoto des Monats: „Der Mann im Mond“

Die Lang-Fassung

Das Bild, das ich für diese Woche ausgesucht habe, ist eher untypisch für mich. Es entspricht einer sehr reduzierten Art von Fotografie, die ich bei anderen Fotografen oft bewundere. Ich selbst mache solche Bilder jedoch eher selten. Was mir daran gefällt, ist die grafische Ästhetik, bei der mit Fläche, Linien und Punkten gearbeitet wird. Bei solchen Kompositionen geht es meist darum, eine gute Balance zu finden aus Harmonie und Spannung. Die Fläche muss mit den anderen Elementen der Komposition in Balance sein. Aber es braucht auch einen „Bruch“ der Balance oder Elemente die Spannung erzeugen, weil die Komposition sonst zu langweilig gerät. Bei meinem Bild entsteht diese Spannung durch den Mond und den Mann, der ihn mit seinem Smartphone fotografiert. Der helle Mond steht in starkem Kontrast zu dem noch dunklen Himmel der „Blauen Stunde“ vor Sonnenaufgang. Dieser starke Kontrast taucht nur im Smartphone des Mannes wieder auf: Dort, so scheint es, fängt der Mann das helle Licht des Mondes mit seinem kleinen Gerät ein. Die beiden hellen Punkte stehen also in Beziehung zueinander. Was der Komposition hilft, ist die Tatsache, dass die Träger des Turms als Linien zu dem Mann führen und ausgerechnet die Diagonalen schon einen Hauch Licht von der sich ankündigenden Sonne bekommen. Durch den Mann können wir eine Vorstellung von der Größe des Turms entwickeln und der ins Bild ragende Baumwipfel liefert uns eine vage Idee von der Höhe. Das Bild wirft Fragen auf und regt die Fantasie an …

  • Wozu ist dieser Turm?
  • Wo steht er wohl?
  • Was macht der Mann dort? Fotografiert er tatsächlich den Mond mit seinem Smartphone?
  • Und wenn ja, warum macht er das?
  • Warum ist er allein?
  • usw.

Ich habe lange überlegt, ob ich die Antworten hier überhaupt geben soll. Aber, da ich noch Ableitungen treffen möchte, scheint es mir unerlässlich. Also Achtung: „Spoiler-Alarm“! Hier kommt die Auflösung …

Ich habe das Bild Weihnachten 2018 im „Gir“ Nationalpark in Gujarat, Westindien, aufgenommen. Wir waren dort bereits vor Sonnenaufgang unterwegs, um die letzten asiatischen Löwen zu suchen. Unser Guide hatte uns zu einem See im Pakt geführt, wo dieser Aussichtsturm steht. Ich war auch selbst oben gewesen, hatte die Aussicht genossen und einige Aufnahmen mit meinem 24-70mm von dort gemacht. Als ich wieder runter zum Jeep gegangen bin, schaute ich noch einmal zurück und sah, dass ein anderer Guide noch oben auf dem Turm war. Die Szenerie mit dem Vollmond gefiel mir und so fing ich an, das Bild zu komponieren und meine Einstellungen zu wählen. Ich stellte eine Belichtungskorrektur von -1 ein, damit die Kamera die Szenerie nicht komplett aufhellt und entschied mich für Blende f/4, weil ich damit beim Modus Blendenpriorität auf 1/60 Sek. und ISO1600 kam. Bei 44mm würde Blende f/4 auch für die benötigte Tiefenschärfe reichen. (Eigentlich 66mm, wenn man den Crop-Faktor berücksichtigt, der entsteht, weil ich ein 24-70mm Vollformat-Objektiv an einer Kamera mit Crop-Sensor nutzte).
Dann hatte ich Glück: Der Guide holte sein Handy heraus und fing an, selbst Bilder zu machen. Zu guter Letzt auch vom Mond. Das wurde dann meine Aufnahme. Es war also auch Glück dabei. Trotzdem lässt sich für mich etwas daraus ableiten: Es war klar, dass man hier auf den Turm steigt und von dort die Landschaft und den Sonnenaufgang fotografiert. Das war sozusagen offensichtlich und habe ich ja auch selbst gemacht. Der Turm selbst war als Motiv zunächst aber eigentlich unattraktiv. Es lohnt sich jedoch fast immer, auch nach eher ungewöhnlichen Motiven / Möglichkeiten / Perspektiven Ausschau zu halten und sich von der „offensichtlichen“ Perspektive zu lösen.

Der „Bildersteckbrief“ (Die Kurzform für Eilige)

Wann und wo entstanden?

  • 24. Dezember 2018
  • Gujarat, Indien – Gir Nationalpark

Warum ausgesucht?

  • Interessante grafische Komposition
  • untypisches Bild aus meinem Portfolio
  • Balance und Spannung in einem Bild
  • “Story-Potenzial“
  • Erkenntnis: die besten Perspektiven / Motive sind nicht immer die offensichtlichen

Die Technischen Details des Fotos

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