RNZ Heidelberg 2023-01-05 – Wunderwelten Festival
„Die größte Sehenswürdigkeit ist die Gastfreundschaft“
Darf man in dieser politischen Lage eine Fotoreportage über den Iran zeigen? – Diese Frage mussten sich Thorge Berger und Mehran Khadem-Awal stellen / Von Steffen Blatt
Thorge Berger und Mehran Khadem-Awal haben mehrfach den Iran bereist. Der eine kannte das Land nur aus den Nachrichten, der andere aus seiner Kindheit (siehe „Zur Person“). Ist der Iran ein farbenfrohes Mär- chen aus 1001 Nacht oder ein düsterer Schurkenstaat? Warten dort herzerwär- mende Gastfreundschaft oder fanatische Mullahs? Auf ihren Reisen machen sich Berger und Khadem-Awal auf die Suche nach Antworten – und lernen ein faszinierendes Land kennen. Es entsteht eine Multimedia-Reisereportage mit grandiosen Fotografien, dazu ein Buch. Seit Oktober 2021 ist das Duo mit seinem Vortrag „Iran – Verborgene Schönheit“ auf Tour. Als im September 2022 Proteste und Demonstrationen in einem kaum gekannten Ausmaß im Iran aufflackern, stellen sie sich ganz neue Fragen. Am Samstag, 7. Januar, sind die beiden mit ihrer Iran-Reportage beim „Wunderwelten“-Festival (siehe Programm) zu Gast. Im Interview berichten sie unter anderem, warum sie den Vortrag weiter präsentieren.
Wie schauen Sie auf die aktuellen Entwicklungen im Iran?
Khadem-Awal: Ich schaue zuerst einmal als Iraner auf das Land und nicht als Vor- tragsredner, der schöne Bilder zeigt. In dieser Hinsicht werden bei mir viele Er- innerungen an die Revolution 1979 wach, die ich als Kind miterlebt habe – und von denen ich gar nicht mehr wusste, dass ich sie habe. Ich habe damals mitbekommen, wie es meiner Familie und auch vielen Freunden ergangen ist. Darum ist das ge- rade ein schmerzhaftes Déjà-vu für mich, auch wenn sich das nur bedingt vergleichen lässt. Was aber sehr wohl vergleichbar ist: Die meisten Iraner sprechen heute nicht mehr von Protesten oder Demonstrationen, sondern wieder von einer Revolution. Die Dimension, die jetzt er- reicht wurde, ist definitiv mit 1979 ver- gleichbar. Natürlich schwingt bei mir, wie bei den meisten Iranern im Land oder im Exil, Hoffnung und Zuversicht mit. Man sehnt sich einen radikalen Systemwech- sel und eine Zukunft in Freiheit herbei, und hat das Gefühl, dass man dem jeden Tag näherkommt. Gleichzeitig versetzen die täglichen Schreckensnachrichten über Gewalt und Hinrichtungen alle Iraner in Trauer.
Was ist der Unterschied zu früheren Protesten, die das Regime erfolgreich niedergeschlagen oder ausgesessen hat?
Khadem-Awal: Eine Dimension ist, dass wirklich im gesamten Land Menschen auf die Straße gehen. Die Proteste werden außerdem von allen ethnischen Gruppen und Gesellschaftsschichten unterstützt. Es sind sich auch alle einig, dass das System nicht reformierbar ist, es geht also nicht um weniger, als das Regime zu stürzen. Auch die Art und Weise, wie andere Länder außenpolitisch reagieren, hat eine neue Dimension – auch wenn sich viele Iraner, insbesondere von der EU, ein konsequenteres Vorgehen wünschen. Der Iran wurde etwa aus der UN-Kommission für die Rechtsstellung der Frau ausgeschlossen – ganz davon abgesehen von der Frage, wieso das Land da überhaupt einen Sitz bekommen konnte, ist das ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Vereinten Nationen. Außerdem hat der UN-Men- schenrechtsrat die Einsetzung einer Kommission beschlossen, die die Vorgänge im Iran dokumentieren und untersuchen soll. Das heißt, dass eine strafrechtliche Verfolgung der Machthaber auf internationaler Ebene möglich gemacht werden soll.
Kann man in solch einer Situation überhaupt eine Reisereportage mit schönen Bildern zeigen?
Berger: Wir haben tatsächlich mit uns gerungen, ob wir mit dem Vortrag weiter auf Tour gehen sollen. Mehran und ich haben schon immer eine extrem kritische Haltung gegenüber dem Regime, haben das in der Vergangenheit aber nicht ausdrücklich artikuliert, weil wir ja auch wieder in den Iran reisen wollten. Diese Position haben wir inzwischen aufgegeben und formulieren unsere Kritik explizit und öffentlich. Ursprünglich sind wir mit dem Vortrag und dem Buch angetreten, den Iranerinnen und Iranern im deutschsprachigen Raum eine Stimme zu geben. Wir wollten zeigen, dass das Land viel mehr und viel wertvoller ist, als man über die schlechten Nachrichten über das Regime sonst mitbekommt. Die aktuellen Entwicklungen haben uns dann natürlich etwas überrollt. Wir wollen diese Platt- form jetzt nutzen, um die Aufmerksamkeit auf die Menschen im Iran zu lenken.
Wie machen Sie das konkret?
Berger: Wir gehen zu Beginn unserer Reportage und noch einmal am Ende sehr eindringlich auf die aktuelle Situation ein, auch an anderen Stellen gibt es Anknüpfungspunkte. Aber wir können natürlich keinen komplett neuen Vortrag präsentieren, denn als wir im Mai zuletzt im Land waren, hat sich diese Entwicklung nicht angekündigt. Darum findet sich in unse- rem Buch Kritik am Regime nur zwischen den Zeilen – weil wir noch davon ausgingen, dass wir wieder in den Iran reisen können, als wir es gemacht haben.
Gab es bei Ihrer bisherigen Tour Kritik an dem Format?
Berger: Gerade aus der Community der Exil-Iraner und -Iranerinnen sind wir zu Beginn sehr stark angefeindet worden. Das lag sicher auch daran, dass wir nicht früh genug kommuniziert haben, wie wir den Vortrag anpassen. Aber uns ist es gelungen, dass diese Communities zu unseren Veranstaltungen gekommen sind und sich selbst ein Bild gemacht haben – und das hat immer dazu geführt, dass es am Ende zu einem Schulterschluss kam.
Wie haben Sie sich kennengelernt und wie kam es zu dem Iran-Projekt?
Berger: Ich bin nicht nur Reisefotograf, sondern auch Personal- und Organisationsentwickler. Unter anderem biete ich Coachings für Führungskräfte an, und in einem dieser Seminare saß Mehran als Teilnehmer. Wir kamen ins Gespräch und fanden heraus, dass die Fotografie unsere gemeinsame Leidenschaft ist und dass die Chemie zwischen uns stimmt. Sechs Jah- re später sind wir zusammen nach Indien gereist und waren von da an jedes Jahr zu- sammen unterwegs – bis Mehran sagte: „Wir müssen mal zusammen in den Iran.“
Was ist das Faszinierende am Iran?
Berger: Mehran sagt immer, die größte Sehenswürdigkeit im Iran ist die Gastfreundschaft – und das stimmt 100-prozentig. Die Menschen sind unfassbar gastfreundlich, und zwar auf eine unaufdringliche und angenehme Art und Weise. Dann ist da natürlich diese Jahrtausende alte Kultur, die weit über die Islamisierung des Landes hinausgeht. Das sieht man allein an der Zahl der Weltkulturerbestätten. Und was viele nicht wissen: Der Iran bie- tet ganz verschiedene Landschaften und Klimazonen, von Regenwäldern über Hochgebirge mit Skigebieten bis zu den heißesten Orten der Welt in der Wüste Lut und dem Zugang zu zwei Meeren.
Khadem-Awal: Für mich ist es die Lebensart und -lust, die den Iran ausmacht. Trotz der widrigen Umstände haben es die Menschen dort geschafft, sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu bewahren. Wenn ich Gruppen von Freunden treffe oder Familien über drei Generationen im Restaurant sehe, dann strahlen die eine Einstellung aus nach dem Motto: „Wenn wir uns haben, dann kann um uns herum eigentlich sein, was will, es geht uns trotz- dem gut.“ Aber bei meinen letzten Reisen habe ich deutlich gemerkt, wie Repression und Ungerechtigkeit die Menschen immer mehr belasten, ihnen die Luft zum Atmen nehmen.
Können Sie eine Prognose abgeben, wie die Entwicklung im Iran weitergeht?
Khadem-Awal: Eigentlich nicht. Klar ist, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen das Ende der Islamischen Republik will, und eigentlich kann sich niemand vorstellen, dass der Iran wieder so wird wie vor dem September 2022. Die Hoffnung ist, dass das Regime außenpolitisch deutlich stärker isoliert wird und man ihm damit wirtschaftliche Mittel entzieht, um es zu destabilisieren. Ein bedeutender Meilenstein wäre die Abschaffung der 1979 von Khomeini eingeführten und durch ein Scheinreferendum vermeintlich legitimierten, menschenfeindlichen Verfassung.
ZU DEN PERSONEN
Thorge Berger, Jahrgang1966(links), ist selbstständiger Personal- und Organisationsentwickler. Seine Leiden- schaft ist seit Jugendtagen die Fotografie. Er hat bisher mehr als 50 Länder auf fünf Kontinenten bereist, organisiert Fotoreisen, gibt Workshops und Seminare.
Mehran Khadem-Awal, Jahrgang 1970, verbrachte seine Kindheit in Teheran. Als 1979 die Revolution ausbrach, reiste er mit seiner Familie nach Deutschland. Was als „langer Urlaub“ geplant war, wurde zur schleichenden Migration. Khadem-Awal lebt in Frankfurt, arbeitet als Software-Ingenieur, leitet IT-Projekte und entdeckt – oft zusammen mit Berger – fotografierend die Welt. Ihr gemeinsames Buch „Bilder aus dem Iran“ ist im November 2022 im Verlag Edition Bildperlen erschienen.
Info: „Iran – Verborgene Schönheit“. Samstag, 7. Januar, 17 Uhr, Musik- und Singschule, Kirchstraße 2. Karten von 9,99 bis 19,90 Euro gibt es unter www.wunderwelten-festival.com.